Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
Hat man einen Fehler in einem Computerprogramm gefunden, kann man auf der Website des Herstellers nachsehen, ob das Problem bekannt ist und wenn ja, wie man es lösen oder umgehen kann. Manchmal kommt es dabei vor, dass ein Fehler von der Entwicklungsfirma gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Dann heißt es in den offiziellen Dokumenten des Herstellers „This behaviour is by design“, also in etwa: „Das ist so gewollt“. Egal wie abwegig das manchmal sein mag.
Die gleiche naive, technokratische Weltsicht verursacht in „Dr. Strangelove“ letztlich und vollautomatisch nichts Geringeres als die Zerstörung der Welt. Fast albern wirkt die übertrieben genaue Darstellung der Sicherheitsmaßnahmen, die in den B-52-Bombern ergriffen werden müssen, bevor die Atombombe abgeworfen werden kann. Man kann sich vorstellen, wie selbstverliebte Ingenieure hier ein besonders ausgeklügeltes System erdacht haben, damit die Atombombe bloß nicht zum falschen Zeitpunkt aus dem Flugzeug fällt. Dabei ist es für alle Vorsichtsmaßnahmen längst zu spät. Dem entsetzten Präsidenten erklärt General Turgidson, dass ein Verfahren in Gang gesetzt wurde, das nicht mehr aufgehalten werden kann. Und nicht nur das: Diese Zwangsläufigkeit sei genau so gewollt worden, als das B-52-Programm entwickelt wurde. Die Piloten der Atom-Flieger sollten ja nicht durch möglicherweise eingehende Störnachrichten vom Feind verwirrt werden. Also darf nur verschlüsselt kommuniziert werden. Schwierig, wenn der Einzige, der den Code kennt, erst wahnsinnig und später tot ist. Für Turgidson ist der drohende Weltuntergang kein Fehler, denn in seiner Logik ist er ja schlüssig: „This behaviour is by design.“ Der Satz könnte von ihm sein. Das Militär liefert für den Weltuntergang die Gebrauchsanweisung, die sich sogar selbst ausführt.
Kaum ein Protagonist in „Dr. Strangelove“ hat die Situation unter Kontrolle. Und augenscheinlich soll sie auch niemand haben. Die Politik hat die Verantwortung an das Militär und das Militär hat sie an automatische Prozesse, Operationen und Maschinen abgegeben. Gesunder Menschenverstand kommt in diesem Modell nicht vor. Und nicht einmal die Figuren höher Ränge handeln vernünftig; im Gegenteil: sie werden immer infantiler. Der US-Präsident unterhält sich gar in Kindergartensprache mit seinem sowjetischen Kollegen, während ein amerikanischer General mit einem russischen Botschafter ringt. Und das alles im Angesicht der totalen nuklearen Katastrophe.
„Dr. Strangelove“ ist wahrscheinlich Kubricks lustigster Film, dennoch herrscht sein pessimistisches Weltbild vor. Kubrick macht sich und seinem Publikum keine Illusionen: Die existenziellen Themen sind Sex und Gewalt. Das Auftankflugzeug „begattet“ gleich in der Eröffnungssequenz den Bomber. Die Sowjetunion wird auf unzähligen Landkarten von stilisierten Flugzeugen penetriert. Zitate aus der ebenso brutalen wie schlichten Welt des Westerns, in der Konflikte noch zwischen zwei Männern ausgetragen wurden, ziehen sich durch den ganzen Film: Major Kong trägt fast die ganze Zeit einen Cowboyhut, er reitet zum Schluss auf einer Atombombe in seinen Kamikaze-Tod. Selbst in das Rechenzentrum der Armeebasis von Colonel Ripper kommt man nur durch eine Saloon-artige Schwingtür. Und die einzige Frau in dem gesamten Film ist natürlich eine lüsterne Sekretärin. Die Männer organisieren den Weltuntergang selbst.
[SIZE="4"]PS: Es lohnt sich diesen Film mal gesehen zu haben...[/SIZE]