Mal etwas für die Nostalgie Ecke
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Computerspiele von anno dazumal liefen auf den Uralt-Modellen, die in der Nibelungenhalle ausgestellt wurden, tadellos. Auch jüngere Besucher zeigten sich fasziniert von diesem Stück Technikgeschichte.
Lorsch. Vergilbte Tastaturen klacken, aus kantigen Diskettenlaufwerken dringt seltsames Surren und aus den Tiefen irgendeiner hellgrauen Kiste wird schon wieder ein "Error" gemeldet. Mittvierziger fachsimpeln über ihren ersten Commodore, grobkörnige Spiele zappeln über monochrome Monitore. Nadeldrucker spucken meterweise perforiertes Endlospapier aus, während ein überirdisches Drehstromsystem rund 200 digitale Dinosaurier am Leben hält.
Existenzielle Konservierung. Zielorientierte Datensicherung aus der Frühzeit des Alltags-PC. Das hat sich der Verein zum Erhalt klassischer Computer auf die Festplatten geschrieben. Einmal im Jahre lädt der Club an einem wechselnden Ort zum Retro-Festival "Classic Computing". Am Wochenende war Lorsch an der Reihe. Vorsitzender Andreas Paul hat die Messe in seine Heimatstadt geholt. "Wir wollen klassischen Computern eine Bühne geben und diese Geräte für die Nachwelt erhalten", erklärt der 39-Jährige,
Die knapp 70 Mitglieder sammeln, pflegen und konservieren Homecomputer. Darüber hinaus vermitteln sie das Wissen um die charismatischen Pioniere, an denen sich die Funktionsweise eines Rechners weitaus besser nachvollziehen lässt als bei zeitgenössischen High-tech-Flundern.
Michael Zacherle (48) ist Physiker aus Ettlingen und hat seinen ersten Computer selbst zusammen gelötet. "Da konnte ich mir noch keinen VC 20" leisten. Er meint den ersten Heimcomputer von Commodore von 1981. "Ich bin mit dieser Technik aufgewachsen. Man sieht noch, wie die einzelnen Komponenten funktionieren", beschreibt er die Faszination des Genres. Er und 70 weitere Freaks, Nerds oder Cracks (alles nicht negativ gemeint) aus ganz Deutschland und aus der Schweiz haben die Nibelungenhalle in eine elektrostatisch flirrende Spiel- und Bastelecke verwandelt.
Kaum etwas aus den späten 70ern und entwicklungstechnisch wilden 80er Jahren, was es in Lorsch nicht zu sehen gab: Tragbare Kaypro-Modelle mit Blechgehäuse, "volkseigene" Robotron-Büromaschinen aus der DDR und stylishe Macintosh SE mit optimiertem Arbeitsspeicherzugriff. Freunden dieses Hobbys juckt es bei solchen Namen in den Fingern.
Langsam und teuerWer mit Amiga, Atari und Co. groß geworden ist und an diesen Kästen seine ersten Basic-Parolen einprogrammiert hat, der fummelt auch 30 Jahre später noch gerne an diesen Maschinen herum. Etwa das gute alte Floppy-Laufwerk 1541 für den C64, oder die Datasette getaufte Kassettenbox mit ihren dicken Tasten und dem mechanischen Zählwerk, über die man durch stundenlanges Herumspulen Daten gesucht und manchmal gefunden hat. Wer sich heute über langsames Internet beschwert, der sollte zur Therapie mal eine 30-minütige Audiokassette mit maximal 100 Kilobyte Speichervolumen ins Laufwerk schieben und das gewünschte Spiel hoch laden.
Und teuer war das: Ein C 64 mit Monitor und Diskettengerät plus Drucker bewegte sich, garniert mit etwas Software, schon in Richtung 2000 Mark. Wobei die meisten Besitzer das Ding an den Fernseher der Eltern gekoppelt haben, um stundenlang "Zaxxon" oder "Summer Games" zu spielen.
Brotkasten noch immer beliebtZurück zum Brotkasten, wie der C 64 gerne auch genannt wurde. "Eine in jeder Hinsicht runde Sache", beschreibt Paul einen Heimcomputer, den er als perfekten Allrounder definiert. "Andere Hersteller wie Schneider oder Atari waren im Detail leistungsfähiger, aber in der Summe für den Nutzer weniger attraktiv." Über 20 Millionen Stück wurden vom C 64 verkauft. Genaue Zahlen weiß man nicht. Auch der Clubchef hat mit diesem Modell angefangen. Heuté besitzt er über 50 frühe Heimcomputer verschiedener Typen.
Das Fachwissen der Mitglieder macht den 2003 gegründeten Verein schon heute zu "dem" zentralen Ansprechpartner für klassische Computersysteme. Als sich der Club formierte, wurde gerade der erste 64-Bit-Prozessor für den Massenmarkt lanciert. Viel zu modern für die Retro-Freunde, die digitales Slow-Food genießen und gerne Exoten streicheln.
Darunter ein Atmos Oric, der für neugierige Augen geöffnet wurde. In der Spiele-Ecke klimperten unterhaltsame Evergreens über die Bildschirme.
Experten führten fachgerechte Operationen an den Innereien der betagten Patienten aus. "Direkt kaputt geht so was nie", meint ein PC-Nostalgiker, der sich ebenfalls als Bewahrer einer historischen Entwicklung sieht. Immerhin: Seit 2007 ist der Verein als gemeinnützig anerkannt. tr