Täglich brausen Millionen Autos über Deutschlands Straßen. Unbekannt ist, dass die Polizei per Kamera nicht nur Tempoüberschreitungen, sondern auch Nummernschilder erfasst. Ziel: Die Jagd auf Verbrecher soll vereinfacht werden. Ob dies erlaubt ist, klärt nun das Verfassungsgericht.
Das Wohlverhalten von Autofahrern wird auf vielfältige Weise überwacht. Politessen kassieren bei Parksündern ab, Tempoüberschreitungen werden von Blitzern und Radargeräten erfasst, und jederzeit kann der automobile Bürger in eine allgemeine Verkehrskontrolle geraten.
Seit einiger Zeit greift die Polizei auf eine weitere Überwachungsmaßnahme zurück, die weniger bekannt ist: die automatisierte Massenkontrolle von Kraftfahrzeugkennzeichen. In acht Bundesländern gibt es mittlerweile technische Ausstattung und rechtliche Grundlagen, um die Nummernschilder per Videokamera aufzunehmen und mit Fahndungsdateien des Bundeskriminalamts abzugleichen.
Der fließende Verkehr wird dabei mit stationären Kameras erfasst. Mit mobilen Geräten können aber auch parkende Fahrzeuge aus Polizeiautos heraus überprüft werden. Aus den Videobildern liest eine Software die Buchstaben und Ziffern aus, um sie automatisch mit zur Fahndung ausgeschriebenen Kennzeichen zu vergleichen.
Das Bundesverfassungsgericht befasste sich nun mit dieser neuen Methode und ihren Grundlagen in den Polizeigesetzen der Bundesländer. Drei Autofahrer aus Hessen und Schleswig-Holstein hatten Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingelegt, sie sehen ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Kläger halten die massenhafte Kennzeichenüberwachung für unverhältnismäßig, weil sie ohne konkreten Anlass passiere.
"Lückenlose Kontrolle der Bürger"
Ein Knöllchen bekommt nur, wer falsch geparkt hat. Geblitzt wird, wer die Höchstgeschwindigkeit überschreitet. In einer Verkehrskontrolle wird angehalten, wer Schlangenlinien fährt oder den Beamten sonst verdächtig erscheint. Die Kennzeichenkontrolle in Hessen und Schleswig-Holstein aber sei voraussetzungslos und könne die gesamte Bevölkerung treffen, sagte der Rechtsanwalt der Kläger, Udo Kauß. Das sei ein „Dammbruch“, der eine „lückenlose Kontrolle“ der Bürger ermögliche.
Mit einem einzigen Erfassungsgerät könnten pro Stunde mehrere tausend Kennzeichen registriert werden, so dass die Polizeibehörden zu einer massenhaften heimlichen Beobachtung von Unverdächtigen ermächtigt würden, ohne einen konkreten Vorwurf zu haben, machten die Kläger geltend. Außerdem seien die Länder gar nicht zuständig für eine solche Gesetzgebung. Denn es gehe nicht um polizeiliche Gefahrenabwehr, sondern um Strafverfolgung. Diese müsse der Bund regeln.
Daten unschuldiger Bürger werden unverzüglich gelöscht
Der hessische Innenminister Volker Bouffier (CDU) wies den Vorwurf zurück, der Datenabgleich verletze Bürgerrechte. Es würden nur Kennzeichen gespeichert, die etwa wegen Diebstahls in zwei Dateien des Bundeskriminalamts (BKA) und der Schengen-Staaten zur Fahndung ausgeschrieben seien. Bundesweit fahndet das BKA nach rund 500.000 Autokennzeichen, im Schengen-System sind etwa zwei Millionen europaweit gesuchte Nummernschilder verzeichnet.
Bouffier machte deutlich, dass Kennzeichen, die beim Abgleich mit diesen Dateien keinen Treffer ergäben, „unverzüglich“ gelöscht würden. Deshalb könnten weder Bewegungsprofile von unschuldigen Bürgern erstellt noch die Identität der Autofahrer festgestellt werden. „Ich glaube, dass das ein Grundrechtseingriff an der Bagatellgrenze ist“, sagte Bouffier.
Gefasst wurden Tankbetrüger und gesuchte Straftäter
Hessen hat den Einsatz der Videokameras bereits weit vorangetrieben. Laut dem Innenministerium des Landes sind neun Lesegeräte im Einsatz, die in diesem Jahr für 300.000 Euro angeschafft worden waren. Von März bis Oktober 2007 seien rund eine Million Kennzeichen überprüft worden, dies habe zu 300 Treffern geführt – eine Quote von 0,3 Promille. Zwei Drittel der Treffer waren Fahrer ohne Versicherungsschutz. Gefasst wurden aber auch Tankbetrüger und gesuchte Straftäter. Bouffier erwähnte zwei Zugriffe auf gestohlene Fahrzeuge, mit denen Einbrecher festgenommen werden konnten.
Neben Hessen und Schleswig-Holstein erlauben auch Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz die elektronische Erfassung, mit unterschiedlich scharfen Voraussetzungen. Weitere Länder wollen folgen. So plant Sachsen nach dem Wegfall der Grenzen zu Polen und Tschechien am 21. Dezember, an wichtigen Verbindungsstraßen Nummernschildlesegeräte einzusetzen.
Der Ausgang des Verfahrens wird auch von der Bundesregierung mit höchstem Interesse erwartet. Denn Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) plant, der Bundespolizei die automatische Erfassung von Autokennzeichen ebenfalls zu erlauben.
Dazu sollen die bundesweit installierten Lkw-Mautbrücken über Autobahnen genutzt werden. Schäuble hatte erst kürzlich in Karlsruhe gesagt, das Verbot der Weitergabe von Kraftfahrzeugdaten, die mit der Maut-Technik für Lkw erfasst wurden, sei ein Fehler gewesen. Das habe sich nach dem Mord an einem Parkplatzwächter an einer Autobahn 2005 gezeigt, der wohl mit den Mautdaten aufgeklärt worden wäre.
Das Urteil des Verfassungsgerichts wird im Frühjahr 2008 erwartet. Im Frühjahr 2006 hatten die Karlsruher Richter anlässlich der Verhandlung über die Zulässigkeit von Rasterfahndungen bereits entschieden, dass die Verfassung „grundrechtseingreifende Ermittlungen ins Blaue hinein“ nicht zulasse. Und auch gestern zeigten einige kritische Nachfragen zum Erstellen von Bewegungsprofilen oder massenhaften Observationen der Bürger durch die Polizei, dass der Senat den Landesgesetzen durchaus skeptisch gegenüber steht.