[SIZE="3"]Ein heilsamer Tiefschlag[/SIZE]
Die Deutsche Telekom hat sich aus dem Radsport verabschiedet. Für den Konzern ist es ein Befreiungsschlag, für die Szene ist es der Sturz in eine neue Krise.
Es mutet schon ein wenig bizarr an, wenn der einstige Verteidigungsminister sich heute als Krisenhelfer für den Profi-Radsport in Stellung bringt: Der Präsident des selbst derzeit von Doping-Berichten und Aufklärungs-Recherchen arg geschüttelten Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) meldete sich am heutigen Nachmittag selbstständig zu Wort, um den Ausstieg von Sponsor T-Mobile aus dem Radsport-Sponsoring zu kommentieren. Der Verband sehe durchaus die Möglichkeit, orakelte Scharping, dass die Teamleitung den sportlichen Weg und den Anti-Doping-Kampf weiterführen könne. Und als ob diese Einschätzung noch nicht genügte, legte Scharping noch eins drauf: "Dazu bietet der BDR dem Teammanagement jede Form der Unterstützung an."
Die Telekom hat keine Lust mehr, am Rad zu drehen. Am Nachmittag gab der Konzern bekannt, sich mit sofortiger Wirkung aus dem Radsport zu verabschieden. "Wir haben uns zu diesem Schritt entschlossen, um uns und die Marke T-Mobile von den jüngsten Doping-Erkenntnissen im Sport und speziell im Radsport zu distanzieren", gab Vorstand Hamid Akhavan bekannt. Danach lässt er versöhnliche Sätze folgen. Zum Beispiel, dass die Entscheidung nicht aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Team-Management oder dessen Fehlverhalten getroffen worden sei. Und dass es an Teamchef Bob Stapelton nicht gelegen habe. Ganz im Gegenteil: Er habe gerade in den letzten Monaten große Fortschritte gemacht. Doch: "Wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber unserem Kerngeschäft und damit unseren Mitarbeitern, Kunden und Aktionären."
"Überfällig und vorauszusehen"
Die Äußerungen aus der Bonner Konzernzentrale hören sich an wie ein lang ersehnter Befreiungsschlag. "Vielleicht ist es gut, dass ein Schwergewicht wie die Telekom aussteigt, damit die Leute wissen, dass es ernst ist", sagt Konzernsprecher Stephan Althoff zu stern.de. Der Heidelberger Molekularbiologe und Anti-Doping-Papst Werner Franke frohlockt gegenüber dieser Seite: "Das war längst überfällig und vorauszusehen. Wenn einer der Hauptangeklagten in diesem Doping-Problem die Konsequenzen zieht, sollte man das als Fortschritt sehen."
Die Telekom fühlte sich in ihrem Anti-Doping-Kampf offenbar ein wenig im Stich gelassen. Ihr Bemühen wirkte ehrenhaft, doch international brachte es allenfalls das Image eines allseits verlachten Don Quijote. Während in Deutschland Jan Ullrich wegen seiner Zusammenarbeit mit dem spanischen Blutpantscher Eufemiano Fuentes beinahe wie ein Schwerverbrecher gejagt wird, hat man es in Spanien und Italien mit dem Doping nicht so eng genommen. Alejandro Valverde etwa, ebenfalls ein mutmaßlicher Fuentes-Kunde, fährt weiter munter die Berge hoch. Ivan Basso machte seinen Sport zum Gespött, als er ankündigte, umfassend auszupacken und dann einen feigen Rückzieher machte. "Es bringt nichts, den Kampf gegen die Windmühlen alleine zu führen", sagte Konzernsprecher Stephan Althoff zu stern.de. "Es passiert international einfach zu wenig."
Schuldgefühle konnte man kaum vernehmen
Der Telekom ist die Geständnis-Orgie ihrer Fahrer, die im Sommer mit den Aussagen von Bert Dietz bei Beckmann in der ARD ihren Anfang genommen hatte, offenbar zu viel geworden. Die Tiefschläge wollten gar nicht mehr enden. Die Enthüllungen an der Uni Freiburg, wo mehrere Ärzte das Dopen über Jahre medizinisch begleiteten. Die Pressekonferenz in der Bonner Konzernzentrale, wo Erik Zabel unter Tränen die Einnahme von Epo gestand und nicht mehr zu wissen glaubte, wie er das seinen Kindern vermitteln sollte. Neben ihm saß Kumpel Rolf Aldag, der ebenfalls zugab, verbotene Substanzen unter seine Haut gespritzt zu haben. Schuldgefühle konnte man damals schon kaum vernehmen. "Ich konnte nicht erwischt werden", sagte Aldag. "Ich möchte mich nochmal für die Lügerei entschuldigen", erklärte er Minuten später und bügelte in der Folge Nachfragen mit wässrigen Antworten ab. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich der Fall Patrik Sinkewitz, der bereits vor der diesjährigen Tour de France positiv auf Testosteron getestet wurde.
Der Ausstieg der Telekom reißt den deutschen Radsport endgültig in die Krise. Schon im September hat Gerolsteiner seine Zusammenarbeit mit Ende der kommenden Saison aufgekündigt. In den Teams, sagten Insider zu stern.de, spekuliert man jetzt erst recht, ob der deutsche Markt mit dem Radsport überhaupt noch vereinbar ist. Die Fahrer, erklärt T-Mobile-Team-Sprecher Stefan Wagner, bräuchten sich zunächst keine Sorgen zu machen. Die Mannschaft wird unter dem Namen "High Road" weiterfahren. Es ist die Firma des bisherigen Teamchefs Stapleton. Eine Lizenz soll so bald wie möglich beim internationalen Radsportverband (UCI) beantragt werden.
Ganz und gar will sich der Kommunikationsgigant aus Bonn aus dem Kampf für den sauberen Sport aber nicht verabschieden. Eine Million Euro wolle man für 2007 und 2008 der nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) zur Verbesserung von Tests und mehr Kontrollen zur Verfügung stellen. "Wir denken, dass es dort in guten Händen ist", sagt Telekom-Sprecher Althoff.
Dass die Telekom irgendwann in den Radsport zurückkehrt, ist unwahrscheinlich. Auch will man das Geld nicht in andere Sportarten stecken. Mit Bayern München und der Nationalmannschaft habe man gute Partner an der Seite, erklärt Althoff. Und bei denen läuft es derzeit wirklich rund.