Seit Monaten verfolgen Filmbranche und Staatsanwälte Kino.to, das größte deutschsprachige Raubkopie-Portal im Internet. Aber der Erfolg will sich nicht einstellen. Die Fahnder verlieren sich zwischen Irland, Spanien, Russland und der Pazifikinsel Tonga.
Der Ermittler blickt sich um. Eigentlich müsste hier das Haus mit der Nummer 47 stehen. Er geht nach links, geht nach rechts, sucht noch einmal das Straßenschild. Alles stimmt, Peter-Breuer-Straße, im Zentrum von Zwickau. Eigentlich sollte hier Paul M. ein Büro oder eine Wohnung haben, heißt es zumindest im Internet.
Doch Fehlanzeige, wo das Gebäude mit der Hausnummer 47 stehen sollte, klafft eine Baulücke. Auch in angrenzenden Läden und Restaurants hat niemand etwas von der Adresse gehört. Der Ermittler, der sich für die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) und damit für Filmstudios wie Warner, Disney und Constantin hierhin aufmachte, kehrt unverrichteter Dinge zu seinem Dienstwagen zurück. Wieder enden seine Recherchen nach Paul M., hinter dem er seit Wochen her ist, im Nichts.
Die Betreiber scheffeln Millionen, die Industrie ist machtlos
Paul M., so vermuten die Urheberrechtsschützer von der GVU, hat Verbindungen zu den Hintermännern von Kino.to, dem größten deutschsprachigen Raubportal für Kinofilme, das es derzeit im Internet gibt. Die Web-Site mit dem Internet-Kürzel „to“ ist auf dem Pazifikarchipel Tonga eingetragen und ein rotes Tuch für Deutschlands Filmwirtschaft. Ermittler der GVU und der Polizei versuchen seit Monaten vergeblich, den offenbar deutschen Hintermännern auf die Spur zu kommen. Die Schnitzeljagd führt sie nach Russland und in die Niederlande, nach Sachsen und an die spanische Costa Brava. Doch die Gejagten tarnen sich exzellent, ein Ende des Versteckspiels ist nicht in Sicht.
Kino.to hat sich zum Renner unter Filmenthusiasten entwickelt. Jeder mit einem schnellen Internet-Anschluss kann rund um die Uhr kostenlos aktuelle Kinofilme am Rechner schauen – in deutscher Sprache, ohne technischen Aufwand. Schätzungen zufolge statten täglich 200.000 bis 400.000 deutschsprachige Nutzer der Seite einen Besuch ab. Sie ist Schulhofthema, zählt zu den 50 meistaufgerufenen Internet-Seiten der Republik, rangiert vor namhaften Portalen wie Stern.de und Microsofts Suchseite Bing. Zur Auswahl stehen rund 12.000 Filme, 10.000 Serienfolgen und fast 5000 Dokumentationen. Die Betreiber der Seite scheffeln der GVU zufolge Millionen – vor allem durch Werbung und sogenannte Abzockangebote, bei denen Nutzer zu teuren Abonnements von Software aufgefordert werden.
Jagd auf Kino.to ist im vollen Gange
Der Schaden für die Filmwirtschaft steigt derweil von Monat zu Monat. Studien zufolge kosten Raubkopierer die Branche allein in Deutschland 300 Millionen Euro im Jahr – ein Großteil davon geht laut GVU auf das Konto von Kino.to. Die Industrie spricht von organisierter Kriminalität. Die Ermittler selbst bekommen nur nach und nach eine Vorstellung davon, aus welchem Milieu die Täter möglicherweise stammen und wie sie agieren.
Es ist eineinhalb Jahre her, der 6. Mai 2008, als Kino.to der Filmindustrie erstmals auffällt. Das Portal leitet seine Besucher auf Videoseiten weiter, auf denen Filmpiraten, die eng mit Kino.to zusammen illegal kopierte Kinostreifen einstellen. Eingetragen ist die Internet-Adresse zwar offiziell auf Tonga. Das lockt wegen seines laxen Umgangs mit Internet-Recht nicht nur Sonnenanbeter, sondern auch Internet-Gauner an. Tatsächlich aber lagert die Internet-Seite damals nach Erkenntnissen der GVU mitten in Europa – auf Großrechnern der Firma Euroaccess in Amsterdam. Zumindest Anfang 2008 galt Holland noch als sicherer Hafen für illegale Web-Sites.
Seitdem ist eine Jagd auf die Betreiber von Kino.to im Gange, die ihresgleichen in Europa sucht. Die erste große Chance, die Filmpiraten zu finden, bietet sich vor fast zwei Jahren, im Frühjahr 2008: Beim Durchsuchen der Web-Site stellen Urheberrechtsschützer der GVU fest, dass der Suchmaschinenriese und Werbevermarkter Google das Raubkopierportal Kino.to mit Werbung bestückt. Die für Werbevermarktung Verantwortlichen bei Google sitzen in Irland. Also schalten die deutschen Piratenjäger ihre Schwesterorganisation in Dublin ein, die Irish National Federation Against Copyright Theft.
Doch die Hoffnung auf zügigen Fahndungserfolg schwindet schnell. Google antwortet weder auf Faxe noch auf Briefe der Iren. "Damit war dieser Ansatz, etwas herauszufinden, erst einmal hin", sagt GVU-Jurist Jan Scharringhausen.
Der nächste Ansatzpunkt, den Filmräubern das Handwerk zu legen, ergibt sich einige Wochen später, am 8. Juli 2008. Hollands Piratenjäger reichen Zivilklage gegen die Großrechnerfirma Euroaccess ein, mit dem Ziel, Daten über die Kino.to-Hintermänner zu erhalten. Ein Richter erlässt eine einstweilige Verfügung gegen das Unternehmen. Euroaccess muss die persönlichen Daten der Betreiber von Kino.to herausrücken. Daraus ergibt sich, dass hinter dem Portal eine männliche Person steckt, die im Raum Düsseldorf wohnt.
Noch am selben Tag stellt die GVU Strafanzeige gegen den Verdächtigen bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Als die Beamten versuchen, den Mann ausfindig zu machen, folgt die Ernüchterung: Zwar gibt es die Adresse, nicht aber eine Person mit dem angegebenen Namen.
Kino.to flüchtet nach Russland
Doch der Misserfolg hat Konsequenzen. Offenbar aufgeschreckt von der Fahndung, ändern die Kino.to-Betreiber ihre Strategie. Um auf Nummer sicher zu gehen, ziehen sie mit ihrer Internet-Seite auf Großrechner in Russland um, wo sie vor den Behörden weitgehend sicher sind. Auch sperren sie die Web-Site für russische Internet-Adressen, sodass sie innerhalb des Landes nicht erreichbar ist. Wer versucht, sie dort aufzurufen, wird auf eine Web-Site der Strato AG weitergeleitet. Das Unternehmen ist eine Tochter der Hamburger Internet-Firma Freenet, die nichts mit Kino.to zu tun hat. Damit stecken die Fahnder in einer weiteren Sackgasse. Kann die russische Polizei die Seite nicht öffnen, ermittelt sie nicht. Ohnehin ist sie beim Urheberrecht eher lax.
Dann, etwa ein halbes Jahr nach Beginn, nimmt die Jagd auf Kino.to eine überraschende Wende. Ende August 2008 meldet sich über eine russische E-Mail-Adresse bei den Piratenjägern der GUV ein Mann, der behauptet, Informationen über die Betreiber von Kino.to zu haben. Dafür verlangt er einen Millionenbetrag. In einer E-Mail schreibt er, die Betreiber würden mit ihrem Portal monatlich eine sechsstelligen Betrag einnehmen.
Die GVU ist bereit zu zahlen. Sie fordert allerdings weitere Informationen, um zu testen, wie viel der Informant wirklich weiß. Der Vorsicht erweist sich als kluger Schachzug. Die Daten sind nämlich unergiebig, die GVU lässt den Deal platzen.
Derweil versucht die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, sich über Google an Kino.to heranzupirschen. Die Informationen des Konzerns führen die Ermittler zu einer Firma namens PAD Medianet SLU mit Sitz im spanischen Lloret de Mar. PAD Medianet ist eine Mediaagentur, die Werbung im Internet platziert. Sie bestückte via Google auch Kino.to mit Anzeigen.
Staatsanwaltschaft jagt Abzockportale
Das Unternehmen gehört einem Mann, dessen Name der GVU seit Langem bekannt ist. Sie hatte ihn früher einmal verdächtigt, ein Internet-Portal zu betreiben, auf dem Raubkopierer Filme zum Herunterladen einstellen konnten. Die Beweise reichten jedoch für eine Klage nicht aus, der Verdächtigte verschwand nach Spanien, wo er PAD Medianet SLU gründete.
Damit aber haben die Ermittler Kino.to noch immer nicht am Wickel. Die deutsche Internet-Adresse von PAD Medianet SLU ist auf jenen Paul M. eingetragen, den die GVU vergeblich in Zwickau suchte. Und auch eine weitere Adresse in Hamburg, wo der Mann laut Domainauskunft Whois zu finden sein soll, existiert nicht. Wer die angegebene Telefonnummer anruft, hört nur die Ansage, diese sei nicht vergeben. Wahrscheinlich ist selbst der Name Paul M. falsch. Ebenso ungeklärt ist, ob PAD Medianet überhaupt noch bei Kino.to Werbung schaltet.
Für die Staatsanwälte wäre das aber von Interesse. Denn durch die Werbung wird Kino.to neben dem Raubkopien- auch zum Abzock-Portal. Wer die Banner anklickt, den leitet das Portal auf Web-Seiten wie top-of-software.de weiter. Hier kann der Nutzer etwa einen Adobe Flash Player zum Anschauen von Videoanwendungen laden, den es beim Entwickler der Software eigentlich kostenlos gibt. Der Haken steckt im Kleingedruckten, wo es heißt: "Durch Drücken des Buttens 'Anmelden und zum Download' entstehen Ihnen Kosten von 96 Euro inkl. Mehrwertsteuer pro Jahr. Vertragslaufzeit 2 Jahre." Da der Nutzer Name und Anschrift angeben muss, droht ihm, dass Inkassoanwälte das Geld eintreiben.
Abzock- und Raubkopierportale wie Kino.to sind nach Einschätzung von Experten eng miteinander verwoben. Internet-Sicherheitsberater Adrian Fuchs schätzt, dass drei von 1000 Besuchern auf die Angebote hereinfallen. Seinen Berechnungen zufolge müsste Kino.to so im Jahr 3,5 Millionen Euro erwirtschaften. Auch die GVU geht davon aus, dass enge Verbindungen zwischen Abzockern und Kino.to besteht. "Das sind keine Gutmenschen", sagt Christian Sommer, GVU-Vorsitzender und oberster europäischer Filmpiratenjäger des Hollywood-Studios Warner Bros. Diejenigen, die Kino.to betreiben, täten dies, um Geld zu verdienen.
Inzwischen wächst die Hoffnung der Fahnder wieder. In den nächsten Wochen rechnen sie damit, bei ihrer Suche voranzukommen. Denn derzeit verfolgen sie zwei neue heiße Spuren.
Q: wiwo.de