ZitatAlles anzeigenDas Abkommen zur Bekämpfung von Produktfälschungen ist am Widerstand der Europaabgeordneten gescheitert. Das Abstimmungsergebnis fiel letztlich klarer aus als erwartet.
Eine klare Mehrheit des Europaparlaments hat dem umstrittenen internationalen Handelsabkommen Acta (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) die Zustimmung verweigert. Acta wird damit in Europa nicht umgesetzt.
Das Ergebnis war absehbar, nachdem sich fünf Ausschüsse des Parlaments für eine Ablehnung ausgesprochen hatten, darunter der federführende Handelsausschuss. Die Entscheidung fiel dann noch deutlicher aus als erwartet: Nur 39 Stimmen gab es für Acta, 478 dagegen. 165 Abgeordnete enthielten sich.
Ein Antrag auf Verschiebung, den die Christdemokraten kurz vor der Abstimmung einreichten, wurde mehrheitlich abgelehnt. Die Konservativen wollten abwarten, wie der Europäische Gerichtshof das Abkommen bewertet und die Abstimmung damit auf die lange Bank schieben.
Markus Beckedahl vom Verein Digitale Gesellschaft sagte: "Vor einem halben Jahr war eine Ablehnung von Acta noch utopisch." Erst eine europaweite Protestbewegung habe die Abgeordneten "über die Gefahren des Abkommens aufgeklärt.”
Der innenpolitische Sprecher der Grünen Europafraktion, Jan Philipp Albrecht, erklärte, nach jahrelangen Verhandlungen sei "der Acta-Spuk" endlich vorbei. Albrecht: "Damit erhält die EU-Kommission die Quittung für ihren Versuch, das Abkommen im Rahmen weitgehend intransparenter Verhandlungen über das ursprüngliche Anliegen der Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie auszudehnen."
Nun sei der Weg frei, um "die europäischen Regeln für ein zukunftsfähiges Urheberrecht im digitalen Zeitalter ohne Scheuklappen und Vorentscheidungen zu diskutieren", sagte Albrecht.
Acta kann nun noch von anderen, nicht-europäischen Staaten umgesetzt werden, wenn sich mindesten sechs von ihnen dazu entschließen, das Abkommen zu ratifizieren. Derzeit sieht es nicht danach aus. Noch ist in keinem Land der Ratifizierungsprozess vollständig abgeschlossen.
ZitatAlles anzeigen
Das Aus für Acta ist ein Sieg der DemokratieDas EU-Parlament hat Acta abgelehnt. Ohne die Lobbyarbeit der Bürgerrechtler und ohne die Demonstrationen der Wähler wäre das Abkommen durchgekommen, kommentiert P. Beuth.
Acta ist endgültig gescheitert. Das Europaparlament hat die Zustimmung zu dem internationalen Handelsabkommen verweigert. Ohne den europaweiten Anti-Acta-Protest wäre die Abstimmung aber wohl anders ausgegangen.
Das Ende von Acta ist ein Erfolg, den sich vor allem Bürgerrechtsorganisationen wie EDRi (European Digital Rights), die Digitale Gesellschaft oder La Quadrature du Net auf die Fahnen schreiben dürfen. Sie haben zweierlei erreicht:
Zunächst haben sie der EU-Kommission klargemacht, dass Acta nicht im Geheimen verhandelt werden darf. Die Offenlegung des Abkommenstextes im Jahr 2010 ist auch ein Ergebnis ihrer Kritik. Acta wurde etwas transparenter, einige der fragwürdigsten Passagen wurden daraufhin aus dem Text gestrichen.
Danach haben die Bürgerrechtler das EU-Parlament als den Ort identifiziert, an dem sie Acta noch stoppen können – und dann haben sie klassische Lobbyarbeit geleistet. Sie haben erst selbst mit den Politikern gesprochen, um sie zu überzeugen, dass Produktfälschungen und Urheberrecht im Internet nicht in das selbe Abkommen gepackt werden sollten. Erreicht haben sie damit nicht viel, ihnen fehlte die Unterstützung der Bevölkerung.
Dann aber entstanden – unter anderem als Reaktion auf die Anti-Sopa-Proteste in den USA – die europaweiten Massendemonstrationen im Februar, von deren Ausmaß Politik und Aktivisten gleichermaßen überrascht wurden. Die große Leistung der Bürgerrechtler bestand darin, das Momentum dieser Bewegung zu nutzen und viele Menschen dazu zu bringen, sich mit einem sperrigen, drögen Vertragswerk zu befassen. Damit konnte der Protest bis zuletzt am Leben und in den Medien gehalten werden.
Die Aufklärungsarbeit hat dabei nicht bei allen gefruchtet. Acta bleibt für viele nur eine diffuse Bedrohung der "Freiheit im Internet". Aber immerhin gingen sie auf die Straße, um für diese Freiheit einzutreten. Und sie schrieben Briefe und E-Mails.
EU-Parlamentarier sagen zwar, sie hätten die Tausenden Protest-Mails von Bürgern, die sie nach entsprechenden Aufrufen etwa der Digitalen Gesellschaft bekamen, sofort gelöscht, wenn sie ihnen zu pauschal und zu undifferenziert erschienen seien. Aber es waren nichtsdestotrotz sehr viele E-Mails und damit ein Warnsignal, die eigenen Wähler nicht zu ignorieren. Dieses Signal wurde wahrgenommen.
Ein Etappensieg, aber ein wichtiger
Wer sich mit EU-Abgeordneten aus den verschiedenen Fraktionen unterhält, bekommt mitunter zu hören, dass Acta ohne diesen Massenprotest wohl geräuschlos das Europaparlament passiert hätte. Andere sagen, es wäre nicht geräuschlos geblieben, aber das Ergebnis der Abstimmung wäre ein anderes gewesen. Dieses Eingeständnis ist ein Ritterschlag für die Bürgerrechtsorganisationen, die sich selbst als Lobbyisten der Internetnutzer bezeichnen. Ihr Einsatz und die Demonstrationen vieler Wähler haben zu einem Stimmungswandel im EU-Parlament beigetragen.
Das ist ein Beleg dafür, dass Bürger Politik mitbestimmen können und ein Zeichen lebendiger Demokratie. Es beweist, dass auch die sperrigsten Themen mobilisieren können und dass Menschen eben nicht verdrossen sind. Es braucht nur jemanden, der ihnen das Problem geduldig erklärt.
Die Aktivisten sind weiter darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen sich mit so komplexen Problemen wie der Vorratsdatenspeicherung, dem Urheberrecht oder dem Datenschutz auseinandersetzen. Und die Wähler sind darauf angewiesen, dass sich Juristen und Bürgerrechtler mit den Gesetzen befassen und sie erklären. Immer wieder.
Denn schon bald wird es weitere, ähnliche Anläufe für Abkommen und Gesetze geben, die die Zukunft des Internets und die Zukunft der Bürgerrechte betreffen. Das Aus für Acta war insofern nur ein Etappensieg, wenn auch ein bedeutender.
Digital - Internet, Computer, Mobil und Netzkultur | ZEIT ONLINE