Grundsatzurteil
Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Verfassung
dpa
Erster Senat des Bundesverfassungsgerichts: Vorratsdatenspeicherung eingeschränkt
Das Verfassungsgericht hat entschieden: Das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verstößt ins seiner jetzigen Form gegen das Grundgesetz. Jetzt muss die Bundesregierung nachbessern.
Karlsruhe/Berlin - Die Paragraphen zur Vorratsdatenspeicherung verstoßen dem Bundesvervassungsgericht zufolge gegen Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes und sind "somit nichtig". Die Daten seien "unverzüglich zu löschen". Das Urteil ist somit noch deutlicher, als Beobachter das im Vorfeld erwartet hatten.
Das seit 2008 geltende Gesetz verpflichtet die Telekomkonzerne dazu, Daten von Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen aller Bundesbürger ohne konkreten Anlass jeweils sechs Monate lang zu speichern. Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdienste dürfen die Daten unter bestimmten Umständen abrufen, um schwere Straftaten verhindern und verfolgen zu können. Geeignet sind diese Daten nicht nur, um Kontakte zwischen Personen, um Zugriffe auf Web-Seiten zu kontrollieren - es lassen sich mit den Handy-Daten auch Bewegungsprofile erstellen, da die jeweilige Mobilfunkzelle stets erfasst wird. Zu den Klägern gegen das Gesetz gehören viele Bundestagsabgeordnete von Grünen und FDP, so auch die amtierende Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Sie sehen das Telekommunikationsgeheimnis verletzt. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hatte das Gesetz wiederholt als unzulässig und gleichzeitig untauglich zur Terrorbekämpfung kritisiert. 35.000 Menschen hatten insgesamt gegen das Gesetz geklagt, über drei ausgewählte Klagen wurde heute exemplarisch entschieden. Es handelt sich dennoch um das größte Verfahren, mit dem das Verfassungsgericht jemals befasst war.
In einer Einstweiligen Anordnung hatten die Karlsruher Richter bereits 2008 das Abrufen der Daten durch staatliche Stellen erschwert. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache durften die Behörden demnach nur noch bei schweren Straftaten wie Mord und Totschlag, aber auch Kinderpornografie, Urkundenfälschung oder Bestechung genutzt werden. Das illegale Herunterladen von Musik dagegen ist seitdem kein Grund mehr für eine mögliche Nutzung der Daten.
Noch vor dem Urteil hat der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, die umstrittene Datensammlung als notwendig für die Terror-Bekämpfung in Deutschland bezeichnet. Viele Straftaten könnten nur mit den Daten aus der Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden, sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung. "Sollte das Gericht das Gesetz verwerfen, werden viele Täter nicht mehr überführt werden können. Die Terrorhelfer sind hochkommunikativ und konspirativ, wir brauchen den Datenzugriff", erklärte Bosbach. Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch, einer der Kläger, sagte NDR Info dagegen, der Staat dürfe nicht einfach pauschal alle Bürger wie potentielle Straftäter behandeln. Internet-Provider fühlen sich ihrerseits als "Hilfssheriffs" missbraucht.
Grundlage für das jetzige Urteil ist unter anderem ein anderes, das vom Bundesverfassungsgericht 1983 gefällt wurde: Im sogenannten Volkszählungsurteil definierten die Richter damals ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Das besagt, vereinfacht formuliert, dass jeder Bürger die Hoheit über seine persönlichen Daten besitzt. Er muss selbst entscheiden dürfen, was damit geschieht, welche davon er preisgibt. Diesen Grundsatz sahen die Karlsruher Richter mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in seiner bisherigen Form offenbar verletzt.
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