Das abgekühlte Verhältnis zum Trainer gilt als Auslöser für den spektakulären Wechsel von Bayern-Kapitän van Bommel zum AC Mailand.
Seine Kopfbedeckung war lediglich den winterlichen Bedingungen geschuldet, und dennoch stand jene Szene sinnbildlich für die Gemengelage beim FC Bayern: Es ist frostig in München, und so hatte sich Mark van Bommel (33) die Mütze tief ins Gesicht gezogen, als er gestern Morgen auf dem Weg zu den Kluboberen war. Er bat offiziell um die Freigabe aus seinem bis zum Saisonende datierten Vertrag. Noch am Vormittag meldete der Verein dann Vollzug: Der Kontrakt mit Mark van Bommel, dem Kapitän des FC Bayern, wird aufgelöst. Von nun an spielt der Niederländer in Italien für den AC Mailand.
Über die Beweggründe für seinen Abgang wollte van Bommel nicht viel sagen. Nur so viel: „Mailand wollte mich unbedingt, und in meiner jetzigen Situation war die Entscheidung nicht schwierig.“ Es sei ein „sportlicher Entschluss“. Doch van Bommel ist einer, bei dem es sich lohnt, zwischen den Zeilen zu lesen. Mit dem Verein, sagte er etwa, habe der Wechsel nichts zu tun. Er sprach von „einem Superverhältnis“, das er zu Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge habe, er schwärmte von Präsident Uli Hoeneß und Sportdirektor Christian Nerlinger. Nur über Trainer Louis van Gaal verlor er kein lobendes Wort. Ob es denn schwierig sei, sich von van Gaal zu verabschieden, wurde van Bommel gefragt. „Es ist schwieriger, sich vom Verein zu verabschieden“, antwortete er.
Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass das einst gute Verhältnis der Landsleute mittlerweile äußerst angespannt ist. Welche Ausmaße die Distanz zwischen beiden mittlerweile haben muss, verrät ein Detail seines neuen Vertrages. Van Bommel, so gaben die Italiener an, erhält in Mailand lediglich einen Kontrakt bis Ende Juni 2011. Jene kurze Laufzeit kommt einer Flucht gleich, auch wenn van Bommel das so nicht sagte. Er sprach lieber davon, dass er ein stolzer Kapitän des FC Bayern gewesen sei. Viereinhalb Jahre hat er für die Münchner gespielt, zweimal wurde er mit ihnen Meister, zweimal Pokalsieger. Im Sommer 2008 ernannte ihn Jürgen Klinsmann zum ersten ausländischen Kapitän des FC Bayern, nun ist er der erste Kapitän, der in der Winterpause das Weite sucht.
Van Bommels Vertrag wäre im Sommer ausgelaufen, die Münchner und insbesondere van Gaal planten nur noch bis zum Saisonende mit ihm, auch wenn ihn Rummenigge jüngst gar noch „den besten Kapitän, den wir hatten“ nannte. Auf van Bommels Position im defensiven Mittelfeld neben Bastian Schweinsteiger soll langfristig Toni Kroos oder aber Winterzugang Luiz Gustavo agieren. Ob sein Abgang mit dessen Verpflichtung zu tun habe? Nein, sagte van Bommel. Und auch dass van Gaals Credo („Meine Kapitäne spielen immer“) seine Gültigkeit verloren habe, habe bei seinen Überlegungen keine Rolle gespielt. Das ganze Stammplatzgarantiegerede sei sowieso Unsinn. „Ich denke, dass ich Bayern München noch hätte helfen können.“
Nun war van Bommels Wechsel ein Abgang mit Ansage; seit Wochen schon kokettierte er damit. Vorangetrieben hat ihn auch sein Berater Mino Raiola. Erst seit einigen Monaten lässt sich van Bommel von dem Italiener vertreten. Raiola ist eine Größe der Branche, nicht überall jedoch wird er herzlich empfangen, weil ihm ein äußerst forsches Auftreten nachgesagt wird, und weil er es versteht, die Bedingungen seiner Klienten durchzusetzen. Beim AC Mailand aber gehört er zu den Gerngesehenen, mit Vizepräsident Adriano Galliani verbindet ihn gar ein freundschaftlicher Umgang. Im Sommer erst transferierte er den Schweden Zlatan Ibrahimovic vom FC Barcelona dorthin, und auch den Transfer des Brasilianers Robinho fädelte er ein.
Bereits gestern flog van Bommel nach Mailand, um die Formalien mit dem Tabellenführer der Serie A zu klären. Bei der Suche nach Hilfe für die malade Mittelfeldreihe – fünf Spieler fallen bei den Mailändern momentan aus – war Raiola-Mandant van Bommel eine kostengünstige, weil nun sogar ablösefreie Option, auch wenn er in der Champions League nicht mehr mitwirken darf. Schon am Mittwoch, so kündigte AC-Trainer Massimiliano Allegri an, soll er im Pokalspiel bei Sampdoria auflaufen.
Was jedoch bedeutet sein Abgang für die Münchner? Die Kapitänsnachfolge wird van Gaal wohl zwischen Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger, van Bommels bisherigen Vertretern, regeln. Doch den Bayern wird in Zukunft nicht nur die Erfahrung des Champions-League-Siegers van Bommel fehlen, sondern vor allem der Mann, dem Ottmar Hitzfeld einst den passenden Titel „Aggressiv-Leader“ verpasste. Und einen ähnlichen Spielertypen haben sie nicht.
Der Fall van Bommel jedoch passt ins Bild, das der FC Bayern momentan in der Öffentlichkeit abgibt: Ein Gebilde mit viel Streitpotenzial, bei dem Louis van Gaals Position immer fragiler zu werden scheint. Erst jüngst hatten Hoeneß und Nerlinger gegen den Trainer gestichelt. Als „lächerlich“ bezeichnete Nerlinger gar, dass sich van Gaal über seine Aussagen zu Franck Riberys Befinden echauffierte. „Wir werden von den Medien auseinandergespielt“, sagte van Gaal gestern. Und ja, er fand die Äußerungen von Hoeneß und Nerlinger „nicht nett“, sie hätten ihn Energie gekostet. Doch van Gaal wäre nicht van Gaal, wenn er nicht folgenden Satz nachgeschoben hätte: „Ich habe so viel Energie, das können Sie sich gar nicht vorstellen.“
[color="Yellow"]QUELLE[/color]: Welt.de