Saftlos, kraftlos und mutlos
Nach der Partie im Moses Mabhida Stadion von Durban standen die deutschen Spieler noch lange rätselnd auf dem Rasen. Kapitän Philipp Lahm kniff die Mundwinkel zusammen, starrte durch seine Mitspieler hindurch und war den Tränen nahe. Lukas Podolski gestikulierte am Mittelkreis. Mesut Özil hockte auf der Ersatzbank und konnte das Unglück nicht fassen.
0:1 im WM-Halbfinale gegen Spanien – das alleine wäre schon ein Grund sich zu ärgern. Aber die Art und Weise der Niederlage machte den Spielern sichtlich zu schaffen. Saft- und kraftlos – und vor allem fürchterlich mutlos hatte die DFB-Elf das große Ziel WM-Finale leichtfertig verschenkt.
Löw: "Wir haben die Hemmungen nicht ablegen können“
„Uns hat heute die Überzeugung gefehlt“, sagte Lahm später in die Mikrofone. Ausgerechnet im Showdown mit Europameister Spanien war seine Mannschaft erstmals in diesem Turnier von allen guten Geistern verlassen. Selbst bei der Vorrunden-Pleite gegen Serbien hatte ein dezimiertes Team mehr Dampf gemacht und etliche hervorragende Torgelegenheiten erspielt. Im Semifinale ließen sich Schweinsteiger und Co. plötzlich von der Furia Roja vorführen, als hätte es die wunderbare WM-Vorgeschichte gegen England oder Argentinien nie gegeben. Stattdessen fand sich die DFB-Elf im EM-Finale 2008 wieder. Genau wie vor zwei Jahren bekamen die Deutschen gnadenlos die Grenzen aufgezeigt. „Wir haben die Hemmungen nicht ablegen können“, sagte der Bundestrainer und schob ein wenig ratlos nach: „Warum und wieso – das kann ich noch nicht sagen.“
Nur zwei Chancen in neunzig Minuten standen für das ohne Selbstvertrauen und Leidenschaft agierende Team von Joachim Löw zu Buche: ein Weitschuss von Piotr Trochowski (31.) und ein halbherziger Versuch durch Toni Kroos aus 13 Metern (60.). Beide Male war Torhüter Iker Casillas auf dem Posten. Das waren immerhin zwei Chancen mehr als 2008, als Spanien sein gefürchtetes Kombinationsspiel „ticki tacki“ ebenso beeindruckend aufzog. Aber ein Fortschritt gegenüber dem EM-Endspiel war plötzlich nicht mehr zu sehen. Dabei hatte das DFB-Team während dieser Weltmeisterschaft einen echten Qualitätssprung gemacht – spielerisch, technisch und taktisch.
Paraguay hat es vorgemacht
Zwar bleibt Deutschland trotz der Niederlage das Team mit den meisten Toren im Turnier (13). Zwar kam die Mannschaft auf immerhin 49 Prozent Ballbesitz – so viel schaffte bislang noch keine Mannschaft gegen den Europameister. Bei weitem nicht. Doch an die dynamischen Auftritte im Achtel- und Viertelfinale konnte die DFB-Elf in keiner Phase anknüpfen. Zwei Chancen gegen sechs des Europameisters, sieben Schüsse aufs Tor gegenüber achtzehn. Nur an der Abwesenheit des gelb gesperrten Shooting-Stars Thomas Müller kann das alles nicht gelegen haben. Dass Spanien am Ende sogar erst mit der Brechstange erfolgreich war, durch Puyols wuchtiges Kopfballtor, war nur eine ironische Fußnote in diesem aus DFB-Sicht so traurigen Spiel.
Nicht einmal kämpferisch konnte das deutsche Team dagegen halten. Keine einzige Gelbe Karte handelten sich die Männer in Schwarz und Weiß ein. Sie gaben das Mittelfeld preis und ließen Xavi, Xabi Alonso und Iniesta in der Schaltzentrale zaubern. Verteidigen ohne Fouls, um Freistöße vom eigenen Tor fern zu halten - das ist ja eine Sache. Aber körperlich nicht dagegen zu halten, eine ganz andere. Auch rustikale Lösungen, „hohe Bälle übers Mittelfeld oder Befreiungsschläge“, wie vom Bundestrainer gefordert, hatte sein Team nicht mehr im Repertoire. Spaniens starker Gegner im Viertelfinale, das spielerisch limitierte Paraguay, wäre als Vorbild durchaus geeignet gewesen.
Löw glaubt an Entwicklungspotenzial
Dem Bundestrainer blieb danach nur der Blick auf die Zukunft. Auf den Trostpreis im kleinen Finale und die Zeit nach der WM. „Wir gehen mit Ernsthaftigkeit in das Spiel um Platz drei. Es hat keiner Grund, mehrere Tage den Kopf hängen zu lassen“, so Löw. Er gestand aber ein, dass die Niederlage an der Moral zehre. Mittelfristig hofft er nun darauf, dass sich seine Mannschaft über die nächsten zwei, drei Jahre einspielen kann. Ganz genau so wie Spanien, das im Halbfinale noch rechtzeitig zur großen Form der Europameisterschaft gefunden hat. „Die Entwicklung unseres Teams ist noch lange nicht am Ende“, so der Bundestrainer.
Quelle: t-online.de