Nach dem bewegenden Abschied von Robert Enke hat Bundestrainer Joachim Löw mit dem Nationalteam den schwierigen Versuch gestartet, in den Fußball-Alltag zurückzukehren.
DFB-Kapitän Michael Ballack hatte gemeinsam mit Per Mertesacker einen Kranz vor dem aufgebahrten Sarg des verstorbenen Kollegen niedergelegt. Direkt von der Trauerfeier im Stadion von Hannover reiste die Nationalelf weiter nach Düsseldorf, wo sich der Vize-Europameister nun auf das letzte Länderspiel des Jahres gegen die Elfenbeinküste vorbereitet.
«Es war heute mit der Trauerfeier noch einmal ein sehr emotionaler Moment. Im Bus herrschte noch eine große Betroffenheit und Stille. Es redet eigentlich keiner», berichtete Teammanager Oliver Bierhoff nach der Ankunft in Düsseldorf. Die Spieler hätten sich unbedingt von ihrem Torwart persönlich verabschieden wollen: «Die Möglichkeit, noch einmal einen Kranz niederzulegen am Sarg, war ein symbolischer Moment für die Mannschaft.» Auf Spieler, Trainer und Betreuer kommt in den nächsten Tagen ein Spagat ohne bisheriges Beispiel zu. «Jetzt müssen wir versuchen, dass der Anstoß zum Spiel am 18. November auch wieder ein Anstoß ist in den Fußball-Alltag», betonte Bierhoff.
Löw verzichtet dabei auf Stürmer Miroslav Klose, dessen Zwillingssöhne Noah und Luan an Schweinegrippe erkrankt sind. Schon am Nachmittag der Trauerfeier hatte der Bundestrainer im Mannschaftshotel eine individuelle Fitness-Einheit angesetzt - ein erster Schritt zu vertrauten und gewohnten Abläufen. Am 16. November wird die Nationalelf dann erstmals nach dem Selbstmord von Robert Enke und dem daraufhin vom DFB abgesagten Länderspiel gegen Chile wieder auf dem Rasen üben. «Wir werden versuchen, die Spieler zu unterstützen und zu helfen, wieder ein bisschen Lächeln und Hoffnung in die nächsten Tage zu bekommen. Das ist unsere Aufgabe», erläuterte Bierhoff.
Für Löw, der die Abschiedsfeier für den beliebten Enke an der Seite von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann miterlebte, wird das 45. Länderspiel als Bundestrainer die außergewöhnlichste Mission seiner über dreijährigen Amtszeit. «Wir haben einen Freund verloren», hatte er erklärt. Auf der anderen, der sportlichen Seite, ist die Partie gegen den WM-Teilnehmer Elfenbeinküste schon der vorletzte Test, bevor der DFB-Chefcoach seinen Kader für die Weltmeisterschaft im Sommer nächsten Jahres in Südafrika berufen muss.
Die Partie soll darum neben einem Abschiedsspiel für Enke auch einen Neuanfang markieren. «Das ist das Leben, wieder nach vorne zu schauen, das Licht zu sehen, die Hoffnung zu sehen, den Fußball so zu bestreiten, wie Robert ihn gelebt hat: Mit hoher Emotionalität, mit Freude, mit Leistungsbereitschaft», beschrieb Bierhoff die Aufgabe: «Wir müssen einfach versuchen, ein gutes Länderspiel zu machen. Ob das gelingt, wird man sehen», meinte der Manager, der glaubt: «Die eine oder andere Trainingseinheit wird dabei helfen.»
Löw wird sich auch wieder mit Personalfragen beschäftigen müssen: Wer steht im Tor? Debütiert der Bremer Aaron Hunt? Bekommt Rückkehrer Stefan Kießling eine neue Chance? Auch wenn die Mannschaft noch «sehr schockiert und betroffen» sei, habe keiner der 20 Akteure bekundet, gegen die Elfenbeinküste nicht auflaufen zu wollen, sagte Bierhoff.
Bei Klose gibt es zwar keine Symptome, dass er sich bei seinen Kindern angesteckt habe, sagte DFB-Mediendirektor Harald Stenger. Aber um auch ein «Restrisiko einer Ansteckungsgefahr auszuschließen», habe der Bundestrainer entschieden, dass der Stürmer zu Hause bleibt.
Mit einem Film und einer Schweigeminute wird der DFB beim Spiel gegen die Elfenbeinküste nochmals Enke gedenken. Die Spieler laufen mit Trauerflor auf. Bierhoff wertete die große Anteilnahme im Team - auch einstige Gefährten wie Torsten Frings, Christoph Metzelder und Jens Lehmann waren zur Trauerfeier genommen - auch als ein «Zeichen für den Zusammenhalt» und «die Freundschaft unter den Spielern».
Löw wird vielleicht noch einen Anruf von Dirk Enke bekommen. Robert Enkes Vater hatte nach der Telefonnummer des Bundestrainers gefragt, weil er Löw «von möglichen Schuldgefühlen befreien möchte», wie «Der Spiegel» berichtete. Die Nichtnominierung für die aktuellen Länderspiele habe bei Enkes Selbstmord keine Rolle gespielt, so der Vater: «Ein wichtiges Anliegen ist mir, Herrn Löw von der Frage zu entlasten: Was wäre, wenn ich ihn nominiert hätte? Ich glaube, dass Robert das in Ordnung fand, weil er neun Wochen raus war.»
Pfarrer Heinrich Plochg machte bei der Trauerfeier den Profis bei Hannover 96 und den Nationalspielern deutlich, dass die nächsten Spiele und Trainingseinheiten nicht leicht sein werden. Besonders für den Spieler, «der zwischen den Pfosten steht». Ursprünglich sollte der Schalker Manuel Neuer gegen die Elfenbeinküste im Tor stehen, nun könnte er sich diese schwierige Aufgabe mit dem Bremer Tim Wiese für jeweils eine Halbzeit teilen. Denn man rückt im DFB-Team eng zusammen in diesen Tagen, wie Bierhoff verdeutlichte: «Wir versuchen, als Gruppe und Führung für jeden Spieler da zu sein.»
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