Juventus Turin ist eine der stärksten Mannschaften Europas. In der Champions League überzeugen sie gegen „große Mannschaften“ bislang mit ihrer Effektivität und Laufstärke, die Serie A führen sie ebenfalls relativ klar an. Die Italiener sind dabei eine der wenigen Top-Mannschaften, die auf keine Variation eines 4-3-3 oder 4-2-3-1 setzte. Sie spielen mit einem 3-5-2 und schafften damit sogar eine 49 Spiele lange niederlagenlose Serie in der Liga. In diesem Mannschaftsporträt stellen wir die Mannschaft vor, welche mit Antonio Conte einen von vielen interessanten italienischen Taktikern als Trainer besitzt.
Ein Genie im Tor
Juventus Grundformation mit der wohl am häufigsten genutzten Aufstellung
Seit Ewigkeiten hütet Gianluigi Buffon, der teuerste Torwart aller Zeiten, den Kasten der alten Dame. Er ist Kapitän, Führungsspieler – und gleichzeitig der womöglich beste Torhüter der Welt. Spielverlagerung ist ein großer Fan von Manuel Neuer und generell von Torhütern, die nicht nur auf der Linie glänzen, zu denen Buffon gehört.
Der Italiener ist hervorragend im Herauskommen, sehr stark im Abfangen von Flanken und schwierig zu pressen. Viele Situationen kann er spielerisch lösen, seine Pässe sind oftmals kurz und präzise, aber auch seine langen Bälle kommen gut. Einen wirklichen Schwachpunkt sucht man bei ihm vergeblich.
An dieser Komplettheit bissen sich schon viele Mannschaften die Zähne aus, unter anderem auch Celtic Glasgow im Hinspiel des CL-Achtelfinals. Die Schotten pressten hoch, aggressiv und intensiv, wodurch sie mehr vom Spiel hatten. Doch Juventus zwang sie zu Flanken und Halbchancen, welche bei einem Torhüter wie Buffon schlicht und ergreifend kaum erfolgsversprechend sind. Dank Buffons Klasse und seiner Fähigkeitenvielfalt kann Juventus ohne Probleme viele Halbchancen, Distanzschüsse und Flanken zulassen, ohne konstant in Gefahr zu kommen.
Hierbei wird er aber natürlich auch vom Spielsystem der Turiner unterstützt.
Die Dreierkette
Im Gegensatz zu den meisten Mannschaften in der Champions League agiert Juventus mit drei Mann in der Abwehr. Andrea Barzagli und Giorgio Chiellini sind dabei Stammspieler als Halbverteidiger, während Leonardo Bonucci als wichtigster Aufbauspieler und nomineller „Stopper“ zwischen den beiden agiert. Bonuccis Funktion im Aufbauspiel ist besonders wichtig.
Gegen Cagliari beispielsweise wurde situativ mit einer flachen Defensivraute und Torwartkette gespielt; Buffon beteiligte sich also aktiv am Aufbauspiel, die Halbverteidiger agierten breit und Bonucci verband diese drei Akteure miteinander, außerdem kümmerte er sich um Pässe in die Spitze und auf Pirlo.
Im Abwehrpressing wird Juventus 3-5-2 zu einem 5-3-2, wenn der Ball mittig ist
Defensiv ist Bonucci ebenfalls der freie und verbindungsschaffende Akteur. Barzagli und Chiellini agieren zumeist als lose Manndecker, während Bonucci sich zentral aufhält und die Räume sichert. Die Betonung bei den Manndeckern liegt aber auf „lose“. In der Horizontale übergeben sie die gegnerischen Stürmer meistens in den Raum oder zu Bonucci, in der Vertikale jedoch nicht. Zurückfallende Stürmer des Gegners werden also durchaus einige Meter verfolgt, bevor sie ans defensive Mittelfeld übergeben werden.
Dieser Mechanismus ist aus taktischer Sicht überaus geschickt gewählt. Die horizontal sehr lose Mannorientierung eröffnet keine Schnittstellen oder sorgt für gefährliche Asymmetrien. Gleichzeitig gibt es durch die stärkere Mannorientierung in der Vertikale mehr Druck auf das gegnerische Kombinationsspiel, verhindert Drehungen des gegnerischen Mittelstürmers und verschließt den Zwischenlinienraum. Immer wieder werden also Pässe auf zurückfallende Mittelstürmer abgefangen oder dessen Ablagen durch die Bedrängnis ungenauer gemacht.
Eine ähnliche Bewegungsdynamik gibt es auch bei vielen Teams, wie zum Beispiel beim BVB, wo die Innenverteidiger von ihrer ursprünglichen Position herausrücken und dort aggressiv an den Passempfänger gehen. Juventus hat aber hier einen gewissen Vorteil – durch drei fixe zentrale Verteidiger haben sie eine bessere Absicherung beim Herausrücken, die beiden verbliebenen Innenverteidiger können zusammenrücken und die entstandene Schnittstelle versperren. Bei einer Zwei-Mann-Verteidigung ist dies nicht der Fall.
Interessant ist auch der generelle Kettenmechanismus der Juventus-Abwehr.
Pendelnde Abwehrkette
Eigentlich ist die Abwehrreihe Juventus keine Dreierkette als solche. Zwar spielen sie mit drei Akteuren auf einer Linie – Bonucci lässt sich nur situativ zurückfallen, agiert im Normalfall mit den beiden anderen auf einer Linie –, aber der Kettenmechanismus erstreckt sich eigentlich auch auf die Flügelverteidiger.
Hier sieht man die Pendelbewegung.
Der ballnahe Flügelverteidiger rückt heraus und presst, der Rest verschiebt und wird zu einer Viererkette.
Kommt der Gegner über eine Seite, dann attackiert der ballnahe Flügelverteidiger seinen nominellen Gegenspieler mannorientiert. Der ballferne Flügelverteidiger hingegen rückt ein und nimmt am Linienspiel der drei Verteidiger teil. Diese gebildete Viererkette verschiebt Richtung Ball und sichert somit hinter dem mannorientiert verteidigen Flügelverteidiger ab. Dadurch erzeugen sie Druck auf den Ballführenden, sichern mit vier Leuten ab und verschließen die Schnittstellen durch ihre kompakte Breitenstaffelung.
Attackiert der Gegner über die Mitte, dann gibt es natürlich eine andere Anordnung. Hierbei gibt es zwei große, unterschiedliche Spielweisen, in denen man sich positioniert.
Eine ist ein 3-3-2-2, welches verstärkt im hohen Pressing genutzt wird, zu dem wir noch kommen werden. Die andere ist ein 5-3-2/5-3-1-1, in welchem die Flügelverteidiger sich zurückfallen lassen. Dieses wird zumeist dann gespielt, wenn die Turiner tiefer verteidigen oder sich durch das gegnerische Aufbauspiel nach hinten eindrücken ließen. Aus der nominellen Dreierkette und eigentlichen variablen beziehungsweise „gependelten“ Viererkette wird also eine klassische Fünferkette, in der die Schnittstellen enorm eng und effektiv verschlossen sind.
Dieses 5-3-2 wird vorrangig in einer positionsorientierten Raumdeckung mit losen Mannorientierungen in der Abwehrkette gespielt. Die Positionsorientierung der Achter und des Sechsers in einer flachen Dreierreihe sorgt dafür, dass die vertikale Kompaktheit enorm hoch ist, da man nur drei Bänder hat; mit einem 3-3-2-2 wie im Mittelfeld- und Angriffspressing bspw. hat man vier Bänder, was aber für andere Faktoren wichtig und effektiv ist.
Gleichzeitig sorgt die flache Dreierreihe der Achter dafür, dass das Spiel des Gegners kaum in die Zwischenlinienräume kommen kann und dass sie aus dem Zentrum weniger Gefahr entfachen können. Zumeist kommt der Ball also früher oder später wieder auf die Außen, wo Juventus ihre Kette wie gewohnt pendeln lassen kann.
Je nach Angriffsrichtung des Gegners wird dann aus der Fünferkette wieder eine Viererkette, aus der der ballnahe Flügelverteidiger herausweicht und die verbliebene Abwehr hinter ihm nachschiebt. Interessant ist hierbei, dass auch die positionsorientiert spielenden Achter immer wieder aus der Reihe herausrücken und in eine situative Mannorientierung übergehen.
Steht Juventus höher, dann spielen sie aber mit einer Dreierlinie.
Sie zwingen die gegnerischen Mittelfeldspieler dadurch zur Passzirkulation, behalten den Raum hinter sich im Deckungsschatten und halten das generelle Spieltempo hoch. Zusätzlich verfolgen sie dann diese zuvor angelaufenen Spieler, wenn diese zum Beispiel in die Schnittstellen zwischen Juventus‘ Flügelverteidigern und Dreierkette gehen. Generell fungieren die Achter öfters als Raumfüller, wenn die Flügelverteidiger wegen der Mannorientierung enorm weit herausrücken.
Allerdings ist auch diese unknackbar scheinende Defensive Juventus‘ leicht anfällig. Gelegentlich gibt es ein vereinzeltes, zu starkes Einrücken in der Mitte. Die positionsorientiert spielende Dreierreihe schiebt zu weit Richtung Ball auf einen Flügel, wodurch zwei Probleme entstehen. Einerseits erhalten sie zu wenig Druck auf den Ballführenden, wenn der Gegner intelligent und stabil das Ballbesitzspiel praktiziert. Anderseits kann der Gegner mit langen Seitenwechseln und schnellen horizontalen Kurzpasskombinationen in freie Räume kommen und von dort Flanken ansetzen.
Aber selbst dann ist es für die gegnerische Mannschaft schwer, in den Strafraum zu kommen. Einzig mit sehr schnellen Kombinationen nach Seitenwechseln ist es möglich, kurzzeitig in den Zwischenlinienraum zu kommen und von dort abzuschließen.
So hatte Juventus zum Beispiel einige Probleme gegen Milan mit deren 4-3-3. Milan spielt hierbei mit kreiselnden Außenstürmern, die sich immer wieder in die Mitte orientieren. Gleichzeitig rückten in diesen problematischen Spielszenen nicht nur die Außenverteidiger gut auf, sondern es gab Doppelüberladungen durch die Achter, wodurch einige Male die in die Mitte gerückten Flügelstürmer frei wurden. Alles in allem ist Juventus aber extrem schwer zu knacken. Neben der Stärke im klassischen Defensivspiel, der hohen Defensivkompaktheit und der Strafraumverteidigung liegt es auch am Pressing.
Juventus‘ Pressing
Die Italiener pressen sehr variabel. Von einem hohen Mittelfeldpressing (teilweise sogar Angriffspressing) bis zu einem tiefen Abwehrpressing ist alles möglich. Stehen sie tiefer, wird meistens das 5-3-2/5-3-1-1-Pressing praktiziert. Stehen sie aber höher, dann verändert sich auch die Formation.
Meistens wird es dann zu einem 3-3-2-2, in welchem die gegnerischen Innenverteidiger bedrängt werden, das Zentrum enorm dicht ist und die gegnerischen Außenspieler, wenn man sie denn in Szene setzen kann, isoliert werden. Dabei fungiert der offene Kanal in der Mitte als eine formativ inhärente Pressingfalle. Soll heißen: Die Formation ist so strukturiert, dass sie einen vermeintlich offenen Raum anbietet, dieser aber de facto isoliert ist, wenn er bespielt wird.
Hier sieht man die formative Pressingfalle in der Mitte.
Spielt der Gegner mit einem aufrückenden zentralen Innenverteidiger und einer Dreierkette oder einem Sechser in diesem Raum bei einem 4-1-2-3 (beispielsweise), kann dieser zwar angespielt werden, erhält aber kaum Zugriff im Passspiel auf seine Mitspieler. Durch die mannorientierte Raumdeckung der beiden aufgerückten Achter sind seine Passoptionen versperrt. Gleichzeitig kann er von einem oder beiden Achtern (situationsabhängig) angelaufen werden, sie behalten dann meist die Anspielstationen in ihrem Deckungsschatten.
Die Stürmer stehen bei den Innenverteidigern und können außerdem rückwärtspressen, während Pirlo diesen sich verengenden Kanal absichert. Lange Bälle auf den Flügel werden dann meistens isoliert, die Flügelverteidiger stehen höher und spielen mannorientiert, desweiteren können die Achter die gegnerischen Flügel dann einkesseln.
Juventus spielt außerdem manchmal und in bestimmten Spielsituationen mit einem 3-4-2-1/3-2-4-1-Pressing, welches im Abwehrpressing zu einem 5-2-2-1/5-4-1 wird. Unter anderem gegen Sampdoria wurde dies phasenweise praktiziert. Dann gibt es dort ein enges Fünfeck, in welchem die beiden Achter hinter dem Mittelstürmer verschieben und die defensiven Halbräume des Gegners attackieren.
Die beiden Sechser stehen in den eigenen Halbräumen besser gestaffelt und verschließen die Mitte stärker, allerdings gibt es naturgemäß weniger Druck auf die erste Linie der gegnerischen Mannschaft.
Das Aufbauspiel
Durch die Dreierkette ist Juventus im Spielaufbau schwierig zu pressen. Diese formativen Vorteile werden außerdem durch das Spielermaterial und die gruppentaktischen Bewegungen ergänzt. Neben dem spielstarken Torhüter Buffon ist natürlich Andrea Pirlo ein weiterer wichtiger Faktor. Der tiefliegende Spielmacher ist pressingresistent und kann herausragende Pässe spielen.
Und hier das Isolieren der Außen.
Seine Fähigkeiten kommen im System Juventus‘ auch sehr stark zur Geltung. Der Tabellenführer der Serie A agiert beispielsweise im Aufbauspiel fast schon in einem 3-2-5. Einer der Achter agiert dabei raumöffnend, der andere unterstützt Pirlo. Der Raumöffner geht dabei meist zur Seite und unterstützt den Flügelverteidiger, wodurch sie die Flügel und die Halbräume überladen können. Dank der Dreierkette stehen die Flügelverteidiger außerdem enorm hoch und machen das Spiel breit.
Die Spielkontrolle durch die vielen Anspielstationen in der Mitte wird dabei etwas zerstört. Manchmal agieren sowohl Vidal als auch Marchisio relativ zentral und bieten sich vermehrt in den Halbräumen an, wodurch Juventus im Zentrum stabiler steht. Sie sind dann schwierig zu pressen und dominieren den Ballbesitz; nicht umsonst kommen sie im Schnitt auf annährend 60% Ballbesitz, was der höchste Wert der Serie A ist.
Gehen Marchisio und Vidal aber verstärkt Richtung Flügel und in die Höhe, dann ist Juventus zwar etwas instabiler, wird aber extrem durchschlagskräftig. Sie agieren beinahe mit einem 3-Pirlo-2-4. Pirlo dominiert das Spielgeschehen, die Achter asymmetrisieren wie oben aufgeführt das Spiel und vorne gibt es eine hohe numerische Präsenz.
Der Gegner wird enorm weit zurückgedrängt und meistens kann auch das gegnerische Pressing dadurch aufgelöst werden. Gleichzeitig können die Halbverteidiger Juventus etwas aufrücken und in die defensiven Halbräume stoßen, während Bonucci und der jeweilige ballferne Halbverteidiger bei solchen kurzen Ausflügen ihres Mitspielers absichern.
Zusätzlich gibt es eine interessante Verteilung im Sturm, welche sehr vom Gegner abhängig gemacht wird. Manchmal lässt sich Giovinco nach hinten fallen und sucht Anspiele in den Zwischenlinienraum. Der zweite Mittelstürmer, Mirko Vucinic, fungiert dann als Raumöffner, Wandspieler oder gar als in die Horizontale ausweichende Stürmer.
Juventus im Aufbauspiel, wenn die Achter asymmetrisch und sehr vertikal spielen.
In anderen Spielen gibt es wiederum eine andere Rollenverteilung, wo sich der höhere Stürmer zurückfallen lässt und der tiefere die Horizontale beackert. Manchmal spielt vorne gar Matri als klassischer Stürmer oder es werden gegnerangepasste Laufwege genutzt. Dadurch entsteht ein situatives Sechsermittelfeld, wenn man es so bezeichnen will.
Dennoch ist Juventus anfällig für Konter und Ballverluste in der Mitte. Pirlo steht relativ frei in der Mitte und soll seine Passreichweite nutzen. Die Achter und die Flügelverteidiger stehen sehr hoch und breit; wenn in diesen Situationen ein Ballverlust oder ein Fehlpass geschieht, gibt es nicht mehr die gewohnte Defensivkompaktheit und der Umschaltmoment kann länger dauern, als bei anderen Top-Mannschaften.
Ein schnelles Konterspiel kann dann sehr gefährlich werden, wie beim Gegentor gegen Parma. Um diese leichte Anfälligkeit einer ansonsten unfassbar stabilen Mannschaft habe ich mir sämtliche Liga-Gegentore im Jahr 2013 zu Gemüte geführt.
Die Auflistung sieht wie folgt aus:
Ballverluste und Gegentore nach Kontern sind sehr gefährlich, die schon erwähnten Verlagerungen in freie Räume mit schnellem Bespielen der freien Räume ebenso. Hinzu kommen Standards (zwei Ecken, ein Freistoß).
Das Offensivspiel
Juventus ist aber natürlich nicht nur eine defensivstarke Mannschaft mit einem tollen Bartträger als Spielgestalter. Vorne fehlt es ihnen zwar an einem konstanten abschlussstarken Knipser, doch dies kompensieren sie durch taktisch passende Spielerwahl vorne – seit Winter ist auch Anelka eine Option – und die beiden Achter.
Marchisio und Vidal sind sehr komplette Spieler. Beide sind offensiv- wie defensivstark, torgefährlich, an guten Tagen überaus kreativ und können auch im Kombinationsspiel effektiv teilnehmen. Zusätzlich sind sie beide taktisch sehr gewieft. Immer wieder sprinten die beide aus der Tiefe in offene Schnittstellen, bespielen die durch die Flügelverteidiger und Stürmer geöffneten Räume, wo sie dann selbst zum Abschluss kommen oder noch einen letzten Pass spielen.
Kommen lange Bälle, kann sehr gut gegengepresst werden, falls man sie nicht sofort behaupten kann.
Ihre Sprints in die Tiefe öffnen Räume auf anderen Positionen, manchmal ziehen gar die Wingbacks in ihrem Rücken in die Mitte und können in Kombinationen gehen. Dadurch zerstört man die gegnerische Formation und deren Abwehrpressing, insbesondere wenn diese stark mannorientiert agieren. Aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert. Spielt die gegnerische Mannschaft nicht mannorientiert, können die Vertikalsprints der Achter gefährlich werden. Bei einer Mannorientierung ist es eben das Einrücken der Flügelverteidiger, welches für Probleme sorgt.
Generell wird enorm viel Laufarbeit von den Flügelverteidigern verrichtet. Offensiv stehen diese auch sehr hoch und kommen mit enormer Durchschlagskraft in Zonen zum Flanken oder ziehen gar diagonal in die Mitte, um Schnittstellenpässe zu erhalten. Die Power der Flügelverteidiger macht sie trotz ihrer relativen individuellen Schwäche (verglichen mit dem Spielermaterial anderer Topmannschaften) zu enorm gefährlichen Akteure, die über Flanken, Abschlüsse und Kurzpasskombinationen in den Halbräumen gefährlich werden können.
Bei Juventus kommen neben diesen gruppentaktischen Bewegungen und den beiden hochgefährlichen Achtern auch intelligente Seitenwechsel und lange Bälle hinzu. Neben Pirlo kann auch Bonucci diese gut spielen. Eigentlich sind solche langen Bälle aus der Tiefe längst passé. Für einen echten Fußballpuristen müssen es schon mindestens 28 Kurzpässe und drei Seitenwechsel sein, damit es ein schöner Angriff ist. Juventus zeigt aber, dass es auch anders geht.
Weil sie den Gegner nach hinten drücken und mit vielen Spielern angreifen, hat Pirlo Zeit für präzise lange Bälle und Spielverlagerungen. Lässt sich der Gegner nicht nach hinten drücken oder will hoch pressen, hat Pirlo zwar weniger Zeit, aber dafür oftmals mehr Raum für Anspiele. Gleichzeitig werden die Bälle auch so gespielt, dass die aufrückenden Achter sie im Lauf erwischen oder zumindest die Zonen fluten können.
Daraus resultiert ein sehr starkes Attackieren auf zweite Bälle, insbesondere im Zentrum, wo sich Juventus quasi nach eigentlichen Fehlpässen eine neue Chance erspielt.
Die alte Dame mit jungem Gegenpressing
Beim Sieg in der Gruppe gegen Chelsea, zum Beispiel beim 3:0, konnte man dies gut erkennen. Juventus spielt zwar kein Gegenpressing wie der BVB oder die Mainzer, aber macht es überaus geschickt. Ihr Gegenpressing geschieht fast ohne Kompaktheitsverlust. Es ist zwar nicht kollektiv in die Mannschaftstaktik eingewebt, was aber auch die große Stärke ist.
Bei Fehlpässen kann dies aber sehr riskant werden. Auf den Flügeln dauert der Umschaltmoment länger, zentral sind Schnittstellen frei.
Meistens pressen nur die ballumgebenden Spieler. Der Gegner kann sich nicht ordentlich befreien, lange Befreiungsschläge holen sich meist Barzagli, Chiellini und Bonucci. Zögert der Gegner, dann verliert er den Ball aber meistens – und weil gleich so viele Juventus-Spieler vorne stehen, kann das besonders gefährlich werden.
Juventus hat also eine interessante Taktik – sie spielen bewusst lange Bälle, die auch mal daneben gehen können. Allerdings fluten sie die Räume gut und gehen hervorragend auf die zweiten Bälle, wodurch der eigentliche Fehlpass zu einem manchmal noch besseren, angriffseinleitenden Pass wird.
Das in der Trainerausbildung vorkommende und von TV-Experten oftmals kritisierte Motto „absichtlich den Ball verlieren“ ist im Endeffekt nichts anderes als eine solche Spielweise. Dadurch kann Juventus auch effektiv Ballbesitz- und Konterelemente verbinden sowie diese variieren. Apropos…