Nationalmannschaft
Die DFB-Elf ist befreiter ohne Ballack
Ballack, der beste Spieler fehlt. Dies scheint ein Vorteil zu sein: Vor dem WM-Start hat sich aus der DFB-Elf ein emanzipiertes Team gebildet. Von S. Dobbert, Pretoria
© Alex Grimm Getty Images
Philipp Lahm wird von seinen Mitspielern nach dem Tor gegen Bosnien-Herzegowina beglückwünscht
Manchmal ändern sich die Verhältnisse schnell. Keine vier Wochen ist es her, dass die Nationalmannschaft ihren besten Spieler verlor. Plötzlich ohne Kapitän, plötzlich ohne den Führungsspieler: Joachim Löw musste nach der Verletzung Michael Ballacks rasch umplanen. Aus einem Haufen junger, talentierter Spieler ohne konservative Führungskräfte ein eingeschworenes Team formen, lautete die Herausforderung. Und wenn man die Zeichen der vergangenen Wochen richtig liest, scheint der Wandel geglückt.
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Schneller als vom Bundestrainer erhofft, haben sich das Führungsprinzip und die Stimmung in seinem Team verändert. Im Mannschaftshotel nahe Pretoria bewegen sich die Nationalspieler so locker, als sei der Grund ihres Aufenthaltes eine Studienfahrt. Der Druck, der auf den Schultern der jüngsten Nationalmannschaft seit Jahrzehnten lastet, ist nicht zu spüren.
Dank des Ausfalls von Michael Ballack hat sich eine neue Dynamik in der Mannschaft entwickelt. Einige Spieler sagen, gerade die Jüngsten hätten nun keine Probleme mehr mit den neuen Führungskräften (Lahm, Schweinsteiger, Friedrich) zu reden.
Natürlich bedeutet die Verletzung Ballacks einen Verlust an Erfahrung für die Mannschaft. Doch – so scheint es kurz vor dem WM-Start – profitiert das Team weitaus mehr vom Fehlen des ehemaligen Kapitäns. Es gibt keine Kluft mehr zwischen alt und jung. Die Zeit der neuen Generation von Führungsspielern scheint schon jetzt gekommen.
Als wäre es selbstverständlich, schoss Philipp Lahm in seinem ersten Spiel als Kapitän ein herausragendes Tor. Die Botschaft seines Schusses in den Winkel war deutlich: Seht her, es geht, und wie!
Der Außenverteidiger hat den Mitspielern auf seine Art demonstriert, dass wichtige Tore auch ohne Ballack fallen. Sami Khedira, der statt Ballack spielt, hat auf der Position im defensiven Mittelfeld gezeigt, dass er das Potential zum Jungstar dieser WM besitzt.
Hans-Dieter Hermann, Mannschaftspsychologe des deutschen Teams, sagt, so, wie die Mannschaft nun gestrickt sei, entspreche es sowohl der Vorstellung des Bundestrainers als auch der Führungsidee der Spieler. Verantwortung wird auf mehreren Schultern verteilt. Flache Hierarchien statt Autokratie.
Erst die Verletzung und vor zwei Tagen die Quasi-Kündigung seines Arbeitgebers. Es läuft nicht gut für Michael Ballack. Noch am Tag, an dem Chelsea verkündete, ohne den Deutschen zu planen, wollte er Joachim Löw auf dem Handy anrufen. Doch der Nationaltrainer hatte mit seiner jungen Mannschaft zu tun, verpasste den Anruf, rief nicht mehr zurück und erzählte am Tag darauf der versammelten Journalistenschar, dass er das bestimmt noch nachholen werde. Das Schicksal ist dem Unglück zuweilen sehr ähnlich. Für Ballack bedeutet es, dass seine Zeit als Führungsspieler in der Nationalelf vorbei ist.
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Begonnen hat diese Entwicklung schon vor zwei Jahren. Arne Friedrich, ein guter Freund Philipp Lahms, kritisierte Ballack bereits während der vergangenen Europameisterschaft. Ballack war damals der Leader und wertvollste Spieler für das Team. Doch der ruppige Führungsstil war das Problem. Friedrichs Klage war keine Einzelmeinung. Ein Zwist zwischen Löw und Ballack und eine Ohrfeige von Podolski gegen Ballack folgten.
"Meiner Meinung nach ist es grundsätzlich besser, wenn die Hierarchie flach strukturiert ist", sagt Philipp Lahm vor dem Eröffnungsspiel gegen Australien über die neue Kultur in der Nationalmannschaft. "Wir fühlen uns in der Truppe wohl. So was wie einen Taktgeber gibt es kaum noch", sagt Per Mertesacker. Arne Friedrich: "Unserer Mannschaft ist ohne Ballack weniger auszurechnen. Das ist ein Vorteil." Auch wenn der endgültige Beweis für die Stärke des neuen Teamgeistes noch aussteht - selbst Franz Beckenbauer, ein Experte aus vergangenen Zeiten, gab während seines Besuchs im Mannschaftshotel zu Protokoll, dass Ballacks Fehlen kein Nachteil sein muss.
Quelle:
Nationalmannschaft: Die DFB-Elf ist befreiter ohne Ballack | Sport | ZEIT ONLINE