[h=2]Videosystem Hawk-Eye: Die Bundesliga entdeckt die Technik[/h]
Die Mehrheit war klar, die Gegner ergeben sich ihrem Schicksal: Die Bundesligaklubs setzen auf eine neue Torlinientechnik. Und das soll nur der Anfang sein.
Andreas Rettig war mächtig froh, dass die Sache so gut verlaufen ist. Ein erneutes Votum gegen die Torlinientechnik wäre auch eine persönliche Niederlage für den Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) gewesen. "Wir freuen uns über diese Entscheidung", sagte Rettig, nachdem die Vertreter der Bundesligisten mit 15:3 Stimmen dafür gestimmt hatten, das englische Hawk-Eye-System in ihren Stadien zu installieren. Sein Vortrag und seine Vorgespräche hatten offensichtlich Wirkung gezeigt.
Technikfreunde feiern nun den Fortschritt und ein angebliches Mehr an Gerechtigkeit. Am Rande der Mitgliederversammlung wurde viel über den nicht gewerteten Kopfball-Treffer von Mats Hummels im diesjährigen Pokalfinale zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern gesprochen, der viele Klubvertreter, die noch im März zu den Technikgegnern zählten, emotional berührt hat. Es gab eine Weltmeisterschaft, bei der die Torlinientechnik erfolgreich zum Einsatz kam, "und die Erfahrung von über 500 Spielen in der Premiere League", wie Rettig erläuterte. Außerdem ist das Angebot der Anbieter erheblich günstiger als noch im März. 136.000 Euro muss ein Bundesligist bezahlen, um die Tore während seiner 17 Heimspiele in einer Saison überwachen zu lassen, und so waren die Vertreter der Liga durchaus zufrieden, nicht mehr als Technikverweigerer und Anachronisten kritisiert zu werden. "Nach einer langen Anlaufzeit ist das System jetzt so, dass wir bedenkenlos zustimmen können", sagte Dirk Dufner, der Sportdirektor von Hannover 96. Aber es bleibt auch ein gewisses Unbehagen, das Jörg Schmadtke nach der Sitzung artikulierte.
Der Sportdirektor des 1. FC Köln hat zwar für die Einführung der elektronischen Schiedsrichterhilfe gestimmt, aber ein wirklich gutes Gefühl hat er bei der Sache nicht. "Wenn man die Tür öffnet, wird es irgendwann Techniken für Abseits und das Seitenaus geben", sagte er, "der Schiedsrichter ist dann nur noch Erfüllungsgehilfe der Technik." Und dass der Fußball nun auch von weiteren Technologien erobert wird, gilt vielen Beobachtern als sicher.
Videobeweis rückt näher
Noch vor neun Monaten trugen mehrere Klubvertreter das alte Argument von der menschlichen Fehlerhaftigkeit vor, der Mythos vom Wembley-Tor und die Diskussionen nach anderen historischen Fehlentscheidungen seien ein wesentlicher Bestandteil der Fußball-Faszination, meinte sie. Solch Überlegungen gelten inzwischen als altbacken. Nur noch der SC Paderborn, Eintracht Frankfurt und der FC Schalke stimmten gegen die Einführung der Torlinientechnik, und der Schalker Manager Horst Heldt hat schon oft betont, dass er seine Haltung aufgeben werde, wenn der große Wurf möglich ist: der Videoschiedsrichter.
Diese Perspektive steht nun konkreter im Raum als je zuvor. Rettig hatte in den vergangenen Wochen immer wieder mit Begeisterung von einem Videoschiedsrichter-Projekt gesprochen, das in Holland läuft. Viele Klubvertreter finden diese Form der Unterstützung für die oftmals überforderten Unparteiischen auf dem Rasen erheblich interessanter als die Torlinientechnik, die nur wenige Male pro Saison wirklich hilft, Fehlentscheidungen zu vermeiden. "Das wird der nächste Schritt sein", sagte Heribert Bruchhagen, der Vorstandsvorsitzende von Eintracht Frankfurt.
Denn sobald diese Technik, mit der sich längst auch das Regelboard IFAB beschäftigt, ausgereift ist und erlaubt wird, dürfte bei jeder Fehlentscheidung geschimpft werden, dass man solche Ungerechtigkeiten nicht länger zulassen dürfe. Natürlich wird der Druck dann schnell so groß, dass auch der Videoschiedsrichter eingeführt wird, auch wenn Rettig sagte: "Das liegt noch in weiter Ferne". Allerdings sind auch jetzt schon ganz andere Dinge möglich als die Kontrolle der Torlinie. Hawk-Eye installiert Hochgeschwindigkeitskameras an den Grundlinien der Spielfelder, auf die TV-Anstalten zugreifen können. Außerdem hat das Unternehmen Erfahrungen mit Sportsimulationsprogrammen und Coaching-Systemen. Die Firma bietet Verfahren an, mit denen Datensätze über Laufdistanzen und Intensitäten erstellt werden können, aber auch biomechanische Analysen, die hilfreich für die Klubs sein könnten.
"Da geht es am Ende nicht nur um Tor oder kein Tor, perspektivisch sind da technische Möglichkeiten mit drin, die für meine Arbeit sehr interessant sind", sagte Jörg Schmadtke schon vor der Versammlung in Frankfurt. Schon lange sind technische Messverfahren ein wichtiger Bestandteil des Fußballs, seit diesem Donnerstag haben sich aber ganz neue Räume für wilde Fantasien geöffnet.
Quelle: spiegel.online
Gruß: Homer